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Urbane Mobilität und Schulsystem - unwandelbar??

Fahrradhölle Auckland

Der Personenverkehr Aucklands ist für mich als Innenstadtberner - seit 10 Jahren vom Privatauto befreit - ein Trauerspiel. Diese Stadt mit 1,4 Millionen Einwohnern (Bern x 10) hat eine Ausdehnung von 5.000 Quadratkilometern (Stadt Bern x 100; nur 20% kleiner als der ganze Kanton) und ist damit flächenmässig eine der grössten Städte der Welt. Zu den fast 1 Mio Autos in Auckland kommen jährlich 40.000 dazu. Pendler verbringen im Schnitt 20 Tage pro Jahr im Stau. Wenn ich am Morgen des 27. April in die Stonefields-Schule fahre, benötige ich mit dem Bus (theoretisch) über eine Stunde, darin 2 mal 25 Minuten Fussmarsch. Nehme ich ein Taxi (und trage damit zum Stau aktiv bei), benötige ich 19 Minuten (theoretisch).

Hoher Blutzoll

Im Jahr 2017 gab es in Neuseeland 380 Todesfälle im Strassenverkehr, so die wöchentlich aktualisierte Statistik. Zum Vergleich: Schweiz 217 (auch zu viel). Bezogen auf die Einwohnerzahl also dreimal mehr Verkehrstote in Neuseeland (Rechtsfahren gewohnte Touristen tragen dazu bei).

Alternativen nicht möglich?

Höchste Zeit zu handeln! Das Fahrrad wäre doch eine Alternative! Ist derzeit supergefährlich in Auckland. Daher fahren so wenig. Autofahrende sind  Fahrradfahrende daher nicht gewöhnt (schauen nicht in den linken Aussenspiegel). Ausserdem ist Auckland hügelig. E-Bikes wären eine gute Lösung. Aber auch gefährlich. Mehr Fahrradstreifen einrichten? Auf öffentliche Kosten? Das versucht Aucklands Regierung auch. Trifft aber bei vielen Bürgerinnen und Bürgern auf erbitterten Widerstand. Noch weniger Platz für Autos. Wo sollen wir parken? Ein ständiges Thema im Listener, Neuseeelands Wochenmagazin. Zuletzt mit einem Themenheft im Februar 2018.
In Auckland einen attraktiven Nahverkehr oder Langsamverkehr zu etablieren ist sicher eine Herkulesaufgabe, vielleicht eine Sisyphusaufgabe.

Mobilitätsparadies Bern

Das Gegenbild ist die Schweiz, wo ich von Bern aus sicher 80% aller Schulen des Kantons  in gut 1 Stunde sicher und bequem mit Bahn und Postauto gelange und zurück, und das mehrmals am Tag, und noch pünktlich! Vor meiner Haustür fahren ca. alle 3 Minuten Busse in die Innenstadt. Das Generalabo erlöst mich vom Stress des Fahrkartenkaufs usw.

Schulparadies Neuseeland

Die lern- und kinderfreundliche Kultur an Neuseelands Schulen ist genauso paradiesisch wie der ÖV in der Schweiz. Seit mehr als 20 Jahren gehört das Fördern des Lernens (und nicht das Selektieren) zur DNA der Lehrpersonen. Sie bekommen es in der Lehrerausbildung als zentralen Wert vermittelt und erwerben die Fähigkeiten es zu tun. Das "formative Assessment" dient klar und eindeutig dem Lernfortschritt. Dadurch haben viele Kinder viel weniger Angst in den Schulen. Das Erziehungsministerium stellt viele Hilfen bereit, um diese "fördernden Einschätzungen" vornehmen zu können. Vielfach sind sie digitalisiert, sie werden selbstverständlich genutzt, vom Kindergarten bis in die High School. Lehrpersonen sitzen in Teams zusammen und werten die Assessment-Daten gemeinsam aus. Sie gehen sowohl die Höchstleistenden wie die besonders unterstützungsbedürftigen Schüler - in der High School quer über z. B. zehn Fächer - gemeinsam durch und überlegen, wie weiter, so dass sie dazu lernen. Oft haben Schüler Mentoren oder Tutorinnen, die auf Basis der Daten die nächsten Schritte unterstützen, in der High School auch mit den Fachlehrpersonen sprechen.

Benotet wird schon lange gemeinsam, sie nennen das "internal moderation". Damit gibt es eine Vertrauensbasis zwischen vielen Lehrpersonen. Berichte zum Lernfortschritt und zu den Noten werden zwischen Primar- und Sekundarschulen ausgetauscht. Denn es ist allen klar: Das dient der Anpassung des nachfolgenden Unterrichts an die Lernausgangslagen der neu eintretenden Schülerinnen und Schüler. Anklagen und Beschämen ist sozial unerwünscht, da ist sich die Mehrheit sicher. Die freundlichen Werte der Maori tun auch hier ihre Wirkung (siehe Blog-Beitrag vom 28.2.2018) Auch Eltern sehen die Lernfortschrittsberichte ihrer Kinder, haben teils sogar schon im Kindergarten Zugang zum elektronischen Portfolio ihrer Kinder, sehen Fotos von Spielsituationen usw. Mehr dazu in späteren Blog-Beiträgen.

Ist Verbesserung möglich?

O.K. - weder der Schweizer Personenverkehr noch das neuseeländische Schulsystem sind wirklich ideal. Da ist noch Luft nach oben. Aber die Unterschiede zwischen beiden Ländern sind extrem.

Könnte man beginnen, die Lern- und Bewertungskultur des Schweizer (oder auch des deutschen und österreichischen) Schulsystems in Richtung der neuseeländischen zu bewegen? Hat dies Aussicht auf Erfolg? Innerhalb mehr oder weniger Generationen als der Versuch, die Berner Mobilität auf die von Auckland zu übertragen?




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